Netanjahu plant offenbar vollständige Einnahme des Gazastreifens
Einnahme des Gazastreifens – Israelische Medien berichten über Strategiewechsel – Armeeführung skeptisch, internationale Kritik wächst
Tel Aviv/Gaza – Israels Premierminister Benjamin Netanjahu soll laut übereinstimmenden Berichten israelischer Medien einen weitreichenden Strategiewechsel planen:
„Die Würfel sind gefallen“ – Kabinettsentscheidung in Kürze erwartet
Demnach will sich der Premier in den kommenden Tagen die Rückendeckung seines Sicherheitskabinetts und der Armeeführung holen.
Ein hochrangiger Regierungsbeamter sprach gegenüber ynetnews.com davon, dass der Entschluss zur Totalbesetzung gefallen sei.
Noch am Dienstag solle eine entsprechende „aktualisierte Strategie“ beschlossen werden, berichtet auch die Jerusalem Post.
Dabei soll auch das bisherige militärische Zögern überwunden werden:
Einsätze seien ausdrücklich auch dort geplant, wo Geiseln festgehalten werden könnten – trotz des bekannten Risikos für deren Leben.
Militär kontrolliert bereits drei Viertel des Territoriums
Israelische Truppen halten aktuell etwa 75 Prozent der Fläche des Gazastreifens besetzt.
Der dichtbesiedelte Küstenstreifen, auf dem über zwei Millionen Menschen leben, ist kaum größer als München – doch die Kontrolle über die verbleibenden Viertel ist strategisch und politisch hochbrisant.
Dort vermutet das israelische Militär noch komplexe Tunnelsysteme, Hamas-Führungskräfte – und die letzten Geiseln, von denen nach offiziellen Angaben noch rund 20 am Leben sein sollen.
Die bisherige Zurückhaltung bei Angriffen in diesen Gebieten basierte auf der Hoffnung, eine militärische Lösung könne durch diplomatische Kanäle vermieden werden.
Doch die monatelangen indirekten Verhandlungen mit der Hamas über eine Waffenruhe und eine Geiselfreilassung blieben ohne Erfolg.
Armeeführung warnt vor jahrelangem Einsatz und Gefahren für Geiseln
Der Schritt hin zu einer vollständigen Einnahme des Gazastreifens wird von Teilen der israelischen Militärführung kritisch gesehen.
Wie die Times of Israel berichtet, hält der Generalstab eine vollständige Zerschlagung der Hamas-Infrastruktur – vor allem ihrer unterirdischen Tunnelnetze – für einen langwierigen und extrem verlustreichen Prozess, der Jahre dauern könnte.
Zudem bestehe das akute Risiko, dass Geiseln bei Bodeneinsätzen getötet würden.
Trotz dieser Bedenken soll Netanjahu Medienberichten zufolge bereit sein, dieses Risiko in Kauf zu nehmen. Einem Insider zufolge habe er erklärt, der Generalstabschef solle zurücktreten, wenn er nicht mitziehe.
Kabinettsstreit und ideologischer Druck von rechts
Innerhalb des israelischen Sicherheitskabinetts kommt es laut Berichten immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen.
Generalstabschef Ejal Zamir soll bei früheren Sitzungen mehrfach mit ultrarechten Ministern aneinandergeraten sein.
Teile der rechtsnationalen Regierung fordern nicht nur die militärische Kontrolle über ganz Gaza, sondern auch die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung und die Errichtung jüdischer Siedlungen – Forderungen, die internationales Recht klar verletzen würden.
Internationale Sorge und wachsender Druck auf die USA
Die Palästinensische Autonomiebehörde forderte unterdessen ein sofortiges Eingreifen der internationalen Staatengemeinschaft.
Die arabische Welt reagierte alarmiert, europäische Staaten halten sich bislang bedeckt, während aus Washington neuer Druck auf Netanjahu aufgebaut wird.

In einem offenen Brief wandten sich zuletzt über 550 ehemalige israelische Sicherheitsbeamte, darunter Ex-Chefs von Mossad und Shin Bet, direkt an US-Präsident Donald Trump.
Ihre Botschaft: Die Hamas stelle keine strategische Bedrohung mehr dar, der Krieg müsse beendet werden. Man fordere die USA auf, auf eine Waffenruhe hinzuwirken.
Hintergrund: Von der Besatzung zur Eskalation
Der Gazastreifen steht seit Jahrzehnten im Zentrum des Nahostkonflikts. Israel hatte das Gebiet 1967 im Sechstagekrieg eingenommen, sich aber 2005 aus dem Inneren zurückgezogen.
Seit der Machtübernahme der Hamas 2007 wird das Gebiet von Israel abgeriegelt, mehrfach kam es zu kriegerischen Auseinandersetzungen.
Der aktuelle Krieg wurde durch den brutalen Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 ausgelöst, bei dem etwa 1.200 Menschen in Israel getötet und Hunderte entführt wurden.
Seitdem hat Israel massive Luftangriffe und Bodenoffensiven durchgeführt.
Große Teile des Gazastreifens sind zerstört, Hunderttausende Menschen auf der Flucht, das Gesundheitssystem kollabiert.
Eskalation mit offenem Ausgang
Sollte sich die israelische Regierung für die vollständige militärische Einnahme des Gazastreifens entscheiden, wäre dies ein dramatischer Wendepunkt im Krieg – mit unvorhersehbaren Folgen für Zivilbevölkerung, Geiseln und die regionale Stabilität.
Die Spaltung innerhalb des israelischen Machtapparats, der Druck rechter Kräfte und das Ausbleiben diplomatischer Lösungen lassen befürchten, dass eine weitere Eskalation kaum noch aufzuhalten ist.
Einnahme des Gazastreifens – Wir bleiben am Ball für Sie. BerlinMorgen.