1871: Mit dem Reichsstrafgesetz beginnt das gesamtdeutsche Strafrecht
Reichsstrafgesetz 1871 – Ein Fundament für Recht und Ordnung im neu gegründeten Kaiserreich
Strafrecht wird zur nationalen Angelegenheit
Am 15. Mai 1871, nur wenige Monate nach der Gründung des Deutschen Kaiserreiches, verkündet Kaiser Wilhelm I. das erste Reichsstrafgesetzbuch.
Es ist eines der ersten gesamtdeutschen Gesetze, die nach der Reichsgründung verabschiedet werden – und gilt als Meilenstein auf dem Weg zu einem einheitlichen deutschen Rechtsstaat.
Mit diesem Gesetz endet die Zeit der zersplitterten Strafrechtsordnung, in der jedes Königreich, Großherzogtum und Fürstentum eigene Strafnormen hatte.
Das Reichsstrafgesetz wird zum Grundstein eines modernen, einheitlichen Strafrechts in Deutschland.
Vom preußischen Vorbild zur gesamtdeutschen Regelung
Das neue Reichsstrafgesetz basiert weitgehend auf dem Preußischen Strafgesetzbuch von 1851, das zu seiner Zeit als fortschrittlich galt.
Die Übernahme dieses Modells ins Reichsrecht sichert nicht nur die nötige rechtliche Stabilität im neu geschaffenen Nationalstaat, sondern erleichtert auch die Rechtsvereinheitlichung im Alltag von Verwaltung, Justiz und Bürgerschaft.
Insbesondere die klare Systematik der Tatbestände und die Definition strafrechtlicher Grundbegriffe gelten als prägend.
Dreistufige Einteilung bis heute gültig
Eine der wichtigsten und bis heute gültigen Innovationen des Reichsstrafgesetzes ist die Unterscheidung zwischen Verbrechen, Vergehen und Übertretungen:
- Verbrechen: besonders schwere Straftaten, mit Mindestfreiheitsstrafen über einem Jahr
- Vergehen: minderschwere Delikte, oft mit Geldstrafen oder kürzeren Freiheitsstrafen
- Übertretungen: heute größtenteils in das Ordnungswidrigkeitenrecht überführt
Diese Struktur bildet bis heute das Grundgerüst des deutschen Strafrechts und wurde seitdem nur punktuell reformiert – nicht grundsätzlich verändert.
Bedeutung für die Rechtsstaatlichkeit
Das Reichsstrafgesetz markiert nicht nur einen juristischen, sondern auch einen staatspolitischen Schritt:

Es betont das Prinzip, dass Strafen nicht willkürlich, sondern nach allgemeingültigen Regeln verhängt werden sollen.
In einer Zeit, in der das neue Kaiserreich erst dabei ist, seine Institutionen zu festigen, dient das Gesetz als ein sichtbares Zeichen für Rechtssicherheit und staatliche Ordnung.
Entwicklung nach 1871 – Reformen, Ergänzungen, Kontinuitäten
Auch wenn der ursprüngliche Text des Reichsstrafgesetzes aus dem 19. Jahrhundert stammt, wurde er im Laufe der Zeit mehrfach überarbeitet und an neue gesellschaftliche Entwicklungen angepasst.
Heute ist das „Strafgesetzbuch“ (StGB) formell eine Fortführung des Reichsstrafgesetzes – es trat 1872 in Kraft und blieb auch in der Weimarer Republik und im Dritten Reich in Kraft, wenngleich oft missbraucht und ideologisch überformt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Strafrecht in der Bundesrepublik reformiert, jedoch nicht vollständig neu geschrieben.
Viele zentrale Paragraphen und Strukturen gehen noch direkt auf das Gesetz von 1871 zurück.
Sonderweg in der DDR – Reichsstrafgesetz 1871
Anders als in der Bundesrepublik entwickelte die DDR ein eigenes Strafgesetzbuch, das 1968 verabschiedet wurde.
Es unterschied sich in vielen Punkten deutlich vom westdeutschen Recht.
Vor allem politisch motivierte Straftatbestände wie „Republikflucht“ oder „staatsfeindliche Hetze“ führten zu harten Repressionen.
Nach der Wiedervereinigung 1990 wurde das DDR-Strafrecht vollständig durch das westdeutsche Strafgesetzbuch ersetzt.
Ein Fundament mit Langzeitwirkung – Reichsstrafgesetz 1871
Das Reichsstrafgesetz von 1871 ist mehr als ein historisches Dokument – es ist die Wurzel des modernen deutschen Strafrechts.
Seine Systematik, Begrifflichkeit und Struktur wirken bis heute fort. Gemeinsam mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch zählt es zu den ältesten, bis heute gültigen Rechtsschriften Deutschlands.
In einer Zeit, in der der Staat noch im Aufbau war, setzte das Reichsstrafgesetz ein klares Zeichen: für Ordnung, für Rechtsstaatlichkeit – und für die Idee, dass Recht für alle gleichermaßen gelten muss. Ein Prinzip, das bis heute unser demokratisches Gemeinwesen prägt.
Reichsstrafgesetz 1871 – Wir bleiben am Ball für Sie. BerlinMorgen.