Sozialwohnungen im Wandel: Hubertz fordert Abgabe von Gutverdienern zur Rettung des geförderten Wohnraums
Fehlbelegungsabgabe für Gutverdiener – Ein Vorschlag mit Sprengkraft: Bauministerin Verena Hubertz bringt eine Abgabe für ehemalige Bedürftige in Sozialwohnungen ins Spiel – ein Vorstoß, der Fragen nach sozialer Gerechtigkeit, Effizienz und der Zukunft des sozialen Wohnungsbaus aufwirft.
Ein gerechter Impuls oder ein Angriff auf soziale Durchlässigkeit?
Mit einem politischen Paukenschlag hat Bundesbauministerin Verena Hubertz (SPD) eine Debatte angestoßen, die das soziale Gefüge in Deutschlands Großstädten und Ballungsräumen verändern könnte. Ihr Vorstoß: Personen, die beim Einzug in eine Sozialwohnung bedürftig waren, inzwischen aber deutlich mehr verdienen, sollen künftig eine sogenannte Fehlbelegungsabgabe leisten. Das Prinzip dahinter: Wer nicht mehr auf geförderten Wohnraum angewiesen ist, aber weiter darin wohnt, soll einen finanziellen Beitrag leisten – zugunsten jener, die ihn dringend benötigen.
Dieser Vorschlag ist nicht neu, aber in seiner bundesweiten Ambition bemerkenswert. In einzelnen Bundesländern, etwa in Hessen, ist ein solches Modell bereits Realität. Nun prüft der Bund die Ausweitung – mit dem erklärten Ziel, die knappen Mittel effizienter einzusetzen und den sozialen Wohnungsbau gezielt zu stärken.
Fehlbelegung: Ein bekanntes Problem mit wenig Konsequenz
In der Theorie ist der Zugang zu Sozialwohnungen klar geregelt. Nur wer unterhalb einer bestimmten Einkommensgrenze liegt, hat Anspruch auf einen sogenannten Wohnberechtigungsschein (WBS). Doch in der Praxis verläuft die Kontrolle lasch. Meist wird das Einkommen nur beim Einzug überprüft – danach nicht mehr. Wer nach Jahren eine bessere Arbeit findet, aufsteigt oder gar eine gut bezahlte Selbstständigkeit beginnt, bleibt dennoch oft im geförderten Wohnraum. Für Bedürftige, die auf eine Wohnung warten, bedeutet das: kein Zugang, trotz Anspruch.
Der Vorschlag von Hubertz setzt genau an diesem Punkt an. Eine Fehlbelegungsabgabe soll dafür sorgen, dass diese Besserverdienenden entweder freiwillig in den freien Wohnungsmarkt wechseln oder durch die Abgabe zumindest indirekt dazu beitragen, neuen Wohnraum für Bedürftige zu schaffen.
Modell Hessen: Abgabe mit Wirkung?
Ein Blick nach Hessen zeigt, wie so etwas konkret aussehen kann. Dort wurde 2016 eine Fehlbelegungsabgabe eingeführt. Mieter von Sozialwohnungen, deren Einkommen über die gesetzlich definierte Einkommensgrenze steigt, zahlen seitdem einen gestaffelten Betrag, der sich am Einkommen bemisst. Die Einnahmen fließen zweckgebunden in den sozialen Wohnungsbau zurück.
Die Zahlen aus Hessen zeigen: Das Modell funktioniert. Zwar verlassen nur wenige Haushalte freiwillig ihre geförderte Wohnung, aber die zusätzlichen Mittel ermöglichen Investitionen in neue Projekte. Die politische Signalwirkung ist ebenfalls nicht zu unterschätzen: Der Staat zeigt, dass er Steuergeld gezielter und gerechter einsetzen will.
Warum der Vorstoß jetzt kommt
Die Zahl der Sozialwohnungen in Deutschland ist seit Jahren rückläufig – und das bei wachsender Nachfrage. Laut Deutschem Mieterbund hat sich der Bestand seit 2006 nahezu halbiert. Bundesweit stehen nur noch rund 1,1 Millionen Sozialwohnungen zur Verfügung. Gleichzeitig gibt es über elf Millionen Haushalte, die theoretisch Anspruch auf eine Sozialwohnung hätten.

Diese Entwicklung hat mehrere Ursachen. Einerseits laufen jährlich Tausende Sozialbindungen aus, ohne dass neue Wohnungen nachgebaut werden. Andererseits werden Neubauten immer teurer, bürokratischer – und riskanter für Investoren. In der Folge sind viele Bauprojekte gar nicht mehr wirtschaftlich umzusetzen, vor allem in teuren Städten.
Mit dem Vorschlag einer Fehlbelegungsabgabe will Hubertz gegensteuern – nicht allein aus Gerechtigkeitsgründen, sondern auch aus ökonomischem Kalkül. Wenn der Staat bis 2029 rund 50 Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau investiert, davon 23,5 Milliarden aus dem Bundeshaushalt, dann muss das Geld effizient fließen. Die Abgabe könnte helfen, bestehende Fehlanreize zu beseitigen.
Kritiker sehen Gefahr für soziale Mischung
Doch der Vorschlag polarisiert. Während viele Experten aus der Wohnungswirtschaft die Idee begrüßen, kommen aus der politischen Opposition und von Sozialverbänden warnende Stimmen. Die Sorge: Eine Fehlbelegungsabgabe könnte dazu führen, dass sich gut integrierte Bewohner aus sozialen Wohnquartieren zurückziehen – mit negativen Folgen für die soziale Durchmischung.
Sozialwohnungen sollen nicht nur Wohnraum für Bedürftige bieten, sondern auch durchmischte Quartiere ermöglichen, in denen Menschen unterschiedlicher Herkunft, Einkommen und Lebensentwürfe zusammenleben. Wenn besserverdienende Familien gezwungen werden, umzuziehen oder hohe Abgaben zu zahlen, könne dies die soziale Struktur ganzer Viertel verändern, so die Kritik.
Hubertz hält dem entgegen: Es gehe nicht darum, Menschen aus ihren Wohnungen zu drängen, sondern um Fairness. Wer in eine staatlich geförderte Wohnung gezogen sei, wisse um die Regeln – und müsse damit rechnen, dass sich bei veränderter Einkommenslage auch die Bedingungen ändern.
Verwaltungsaufwand und Kontrolle: Wie realistisch ist die Umsetzung?
Ein zentrales Problem ist der Verwaltungsaufwand. Wer soll künftig prüfen, ob das Einkommen eines Mieters gestiegen ist? Müssen Mieter regelmäßig ihre Gehaltsnachweise einreichen? Oder soll eine zentrale Datenbank eingerichtet werden?
In Hessen wird das Verfahren über freiwillige Selbstauskünfte und stichprobenartige Prüfungen geregelt – mit vergleichsweise geringem Aufwand. Doch auf Bundesebene, mit Millionen potenziell betroffener Haushalte, könnte das schnell zu einer Mammutaufgabe werden. Datenschutz, Bürokratieabbau und Bürgerfreundlichkeit stehen dabei im Spannungsfeld.
Ein Vorschlag aus Expertenkreisen lautet, die Abgabe über eine Selbstauskunftspflicht mit Steuerbescheid-Kopien zu realisieren – gekoppelt an eine Bußgeldregelung bei Falschangaben. Das Verfahren wäre einfach, transparent und rechtssicher. Ob es so kommt, bleibt abzuwarten.
Zwischen Gerechtigkeit und Pragmatismus: Was steht auf dem Spiel?
Der Druck auf die Bundesregierung ist groß. Die Wohnungsnot in Deutschland, insbesondere in Großstädten wie Berlin, München oder Hamburg, hat längst ein Level erreicht, das politischen Handlungsdruck erzeugt. Der soziale Wohnungsbau gilt als zentrales Instrument, um dieser Entwicklung zu begegnen.
Doch mit jeder nicht mehr bedürftigen Person, die eine Sozialwohnung blockiert, verschärft sich das Problem. Deshalb will Hubertz nicht länger zuschauen, sondern mit einem neuen Instrument Gerechtigkeit und Effizienz verbinden. Ihr Vorschlag ist Teil eines umfassenderen Plans, der auch serielle und modulare Bauweisen, digitalisierte Bauprozesse und beschleunigte Genehmigungsverfahren vorsieht.
Perspektiven für den sozialen Wohnungsbau – Fehlbelegungsabgabe für Gutverdiener
Die Diskussion über die Fehlbelegungsabgabe lenkt den Blick auf ein größeres Dilemma: Der soziale Wohnungsbau in Deutschland ist in der Krise. Es fehlt nicht nur an Geld, sondern auch an Bauland, Fachkräften und politischen Visionen. Die Förderinstrumente sind komplex, der bürokratische Aufwand für Kommunen und Investoren hoch.
Gleichzeitig erleben viele Menschen, dass ihre Mieten steigen, ihre Wohnsituation prekär bleibt – und der Staat scheinbar machtlos zusieht. Der Vorschlag der Bauministerin könnte ein Baustein sein, das Vertrauen in die soziale Wohnungswirtschaft zu stärken. Aber er ist kein Allheilmittel.
Ein mutiger Vorschlag mit Signalwirkung – Fehlbelegungsabgabe für Gutverdiener
Mit ihrem Vorstoß hat Verena Hubertz ein heißes Eisen angefasst – und damit eine längst überfällige Debatte angestoßen. Die Fehlbelegungsabgabe könnte helfen, bestehende Ungerechtigkeiten zu korrigieren und dringend benötigte Mittel für den sozialen Wohnungsbau freizusetzen.
Doch der Teufel steckt im Detail: Die praktische Umsetzung, die politische Durchsetzbarkeit in den Ländern und die gesellschaftliche Akzeptanz müssen erst noch erprobt werden. Klar ist: Wenn der soziale Wohnungsbau wieder eine tragende Säule der Wohnungspolitik werden soll, braucht es mehr als gute Absichten. Es braucht Mut, Reformbereitschaft – und neue Ideen wie diese.
Fehlbelegungsabgabe für Gutverdiener – Wir bleihen am Ball für Sie. BerlinMorgen.
Quelle Tagesschau, Funke Mediengruppe WAZ
Fehlbelegungsabgabe für Gutverdiener Foto: Markus C. Hurek



























