Die Ampel bricht ihr Versprechen zur Stromsteuer – nun droht politischer Flurschaden
Entlastung versprochen, Einschränkung geliefert
Vertrauen unter Strom Die Bundesregierung hatte es vollmundig angekündigt:
Die Stromsteuer werde für alle gesenkt – für Bürger ebenso wie für Unternehmen.
Eine zentrale Zusage im Koalitionsvertrag, ein Versprechen für sinkende Strompreise und mehr Wettbewerbsfähigkeit.
Doch im Haushaltsentwurf 2025 findet sich davon nur noch ein Torso.
Die Steuer soll nun lediglich für Teile der Industrie sowie die Land- und Forstwirtschaft fallen – nicht aber für Handel, Handwerk, Mittelstand oder Haushalte.
Was als steuerpolitische Detailentscheidung begann, ist binnen Tagen zu einem ausgewachsenen Vertrauensproblem für die Koalition geworden.
„Schlag ins Kontor für den Mittelstand“
Die Reaktionen aus Wirtschaft und Verbänden fallen entsprechend scharf aus. „Ein Schlag ins Kontor für den Mittelstand“, nennt es Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks. Besonders energieintensive Handwerksbetriebe wie Textilreiniger, Bäckereien oder Kühlbetriebe hätten auf die Entlastung gehofft – nun sehe man sich erneut benachteiligt.
Auch der Handelsverband Deutschland übt deutliche Kritik. Präsident Alexander von Preen sieht den Bruch eines politischen Grundversprechens: „Viele Händlerinnen und Händler haben darauf gesetzt, dass die Stromsteuer für alle gesenkt wird. Jetzt entstehen Mehrkosten in Millionenhöhe – mitten in einer ohnehin schwierigen konjunkturellen Lage.“
Kritik quer durch die Lager
Selbst traditionell zurückhaltende Institutionen wie die Industrie- und Handelskammern melden sich mit ungewohnter Deutlichkeit zu Wort.
DIHK-Präsident Peter Adrian berichtet von „vielen empörten Anrufen“ in den Kammern – und beklagt, dass selbst kleinste Entlastungen nicht mehr möglich seien, obwohl der Bund gleichzeitig mit Rekordschulden operiere.
Die Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) kritisiert die Entscheidung aus einer anderen Perspektive: Deutsche Haushalte zahlten im EU-Vergleich die höchsten Strompreise – und seien von der Entscheidung der Regierung nun vollständig ausgeschlossen.
Ein Sprecher warnte vor einem „immensen Vertrauensverlust“ bei Millionen Menschen.
„Koalitionsvertrag trifft auf Wirklichkeit“
Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) versuchte sich in Pragmatismus.
„Hier trifft Koalitionsvertrag auf finanzielle Wirklichkeit“, sagte sie auf dem Tag der Industrie. Die Aussage klingt nüchtern – doch sie legt ein tieferes Problem offen: Das Auseinanderklaffen von politischem Anspruch und haushaltspolitischer Realität.

Auch das Finanzministerium gab sich vage. Alles stehe „unter Finanzierungsvorbehalt“.
Eine verbindliche Zusage zur Steuerentlastung sei derzeit nicht möglich.
Es ist ein Satz, der viele Fragen aufwirft – vor allem zur Prioritätensetzung in Zeiten teurer Entlastungspakete für einzelne Industriezweige.
Grüner Protest: Wortbruch mit Ansage
Scharfe Töne kommen auch aus der Koalition selbst.
Grünen-Parteichef Felix Banaszak warf Kanzler Merz und Finanzminister Klingbeil einen „Wortbruch auf Ansage“ vor.
Besonders empört zeigte er sich über die parallelen Investitionen in fossile Infrastruktur: „Sie canceln die Stromsteuer-Senkung und versenken Milliarden in Gas.“
Inhaltlich stehen die Grünen damit nicht allein – doch politisch werden sie zunehmend zu Getriebenen innerhalb einer Koalition, deren wirtschaftspolitischer Kurs von SPD und CDU dominiert wird.
SPD verteidigt, aber laviert
SPD-Fraktionsgeschäftsführer Dirk Wiese versuchte derweil zu beruhigen.
Es handele sich nicht um ein endgültiges Aus für die Stromsteuer-Senkung. Vielmehr sei es „eine Frage der zeitlichen Priorisierung“ innerhalb der Wahlperiode.
Tatsächlich war die Senkung im Koalitionsvertrag als Sofortmaßnahme angekündigt worden – nun soll sie irgendwann kommen. Vielleicht.
Diese rhetorische Verschiebung wirkt auf viele enttäuschte Akteure wie eine nachgereichte Schadensbegrenzung.
Zahlen, die bleiben – und Erwartungen, die bleiben
Die Zahlen sind eindeutig: Derzeit zahlen deutsche Haushalte 2,05 Cent Stromsteuer pro Kilowattstunde, der europäische Mindestwert liegt bei 0,05 Cent – also nur rund 2,5 % davon.
Die Differenz ist kein technisches Detail, sondern ein strukturelles Problem:
Bei einem durchschnittlichen Verbrauch von 3.500 Kilowattstunden pro Haushalt summiert sich die Stromsteuer auf mehr als 70 € jährlich – allein für die Steuer, nicht für Erzeugung, Netze oder Umlagen.
Das Versprechen im Koalitionsvertrag war klar: eine Entlastung von mindestens fünf Cent pro Kilowattstunde.
Das hätte sowohl Unternehmen als auch Privathaushalten spürbar geholfen – und symbolisch gezeigt, dass der Staat in Energiefragen nicht nur reguliert, sondern auch entlastet. Diese Wirkung bleibt nun aus.
Ein politischer Preis – höher als die Steuer
Die Bundesregierung muss sich nun zwei Fragen gefallen lassen: Erstens, warum sie ein zentrales Wahlversprechen stillschweigend einkassiert – und zweitens, warum nicht wenigstens die transparenten Gruppen, die heute nichts bekommen, eine Perspektive erhalten.
Denn so bleibt das Bild:
Die Großen profitieren, die Vielen zahlen weiter – eine Erzählung, die nicht nur der Koalition, sondern dem demokratischen Vertrauen insgesamt schadet.
Strompreise sind mehr als ein Sachthema – sie sind eine Frage politischer Glaubwürdigkeit. Und Glaubwürdigkeit ist in diesen Zeiten das knappste Gut.
Vertrauen unter Strom Wir bleiben am Ball für Sie. BerlinMorgen.
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