EU prüft neue Handelsallianz – Neugestaltung der globalen Ordnung oder bloß Plan B?
CPTPP statt WTO? – Die Weltwirtschaft verändert sich rasant – und mit ihr geraten auch die etablierten Institutionen ins Wanken.
Eine davon: die Welthandelsorganisation (WTO).
Einst als Hüterin eines regelbasierten Welthandels gefeiert, steckt die Organisation seit Jahren in einer tiefen Krise.
Nun bringt die Europäische Union Bewegung in das globale Gefüge.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte an, mit dem transpazifischen Handelsbündnis CPTPP in „strukturierte Kooperationsgespräche“ einzutreten – und geht damit nicht nur außenpolitisch, sondern auch handelspolitisch einen neuen Weg.
CPTPP: Ein potenzielles Gegengewicht zur WTO
Die Abkürzung CPTPP steht für „Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership“.
Dahinter verbirgt sich ein wirtschaftlich hochrelevantes Handelsbündnis zwischen zwölf Ländern – darunter Japan, Kanada, Australien und Chile.
Gemeinsam repräsentieren sie etwa 15 Prozent des weltweiten Handelsvolumens. Mit dem Beitritt des Vereinigten Königreichs Ende 2024 ist die Attraktivität dieses Bündnisses nochmals gewachsen.
Für die EU ist die Idee eines Schulterschlusses mit diesem transkontinentalen Block ein bemerkenswerter Schritt – und eine klare Reaktion auf die anhaltende Lähmung der WTO.
WTO unter Druck: Blockade, China-Frust, Strukturkrise
Die WTO galt über Jahrzehnte als Rückgrat eines multilateralen Handelssystems.
Doch ihre Funktionsfähigkeit ist zunehmend eingeschränkt. Besonders gravierend:
Der Streitbeilegungsmechanismus, eine Art Oberster Gerichtshof der Handelswelt, ist seit der Trump-Ära blockiert – durch das gezielte Verhindern neuer Richterbesetzungen.
Die Folge: Es existiert faktisch kein international anerkanntes Forum mehr, das Handelskonflikte verbindlich regeln kann.
Dazu kommt ein wachsender Frust über das Verhalten Chinas, dessen staatlich gelenkter Kapitalismus mit massiven Subventionen als systemwidrig empfunden wird.
Die WTO scheint dem nur wenig entgegenzusetzen. Viele europäische Politiker und Wirtschaftsakteure fordern daher schon seit Jahren eine Reform – bislang vergeblich.
Von der Leyen: CPTPP als Neustart
Vor diesem Hintergrund gewinnt die Ankündigung von Ursula von der Leyen an Brisanz.
Die EU wolle mit dem CPTPP nicht nur reden, sondern auch „Strukturen der Kooperation schaffen“, die mittelfristig einen Beitrag zur Neugestaltung der internationalen Handelsordnung leisten könnten.
Ihre Formulierung: Die Partnerschaft könne „ein Anfang für die Neugestaltung der WTO“ sein – ist mehr als nur diplomatische Rhetorik.
Kritik und Präzisierung aus Brüssel
Die Reaktion folgte prompt – nicht zuletzt, um politische Wellen innerhalb und außerhalb Europas zu glätten.

EU-Beamte betonten, es gehe „nicht um die Abschaffung der WTO“, sondern um die Überwindung ihrer strukturellen Schwächen.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sprach sogar von einer „neuen Art von Handelsorganisation“, die entstehen könne, wenn die WTO in ihrer jetzigen Form keine Lösung mehr biete.
Dennoch bleibt die Botschaft klar: Die EU verliert das Vertrauen in den Fortbestand eines handlungsfähigen WTO-Systems – und richtet sich neu aus.
Warum jetzt CPTPP – und warum nicht früher?
Die Ironie: Der Ursprung des CPTPP liegt in den Vereinigten Staaten. Die USA initiierten das Bündnis einst unter Präsident Obama – um Asien wirtschaftlich enger an sich zu binden und Chinas Einfluss zu begrenzen. Doch unter Donald Trump stiegen die Vereinigten Staaten 2017 noch vor dem Beitritt aus. Seitdem ist das Bündnis ohne die USA weitergewachsen.
Gerade wegen dieser US-Rolle zögerte die EU bisher, sich dem Block anzunähern. Man wollte die geopolitische Balance nicht unnötig verschieben. Doch angesichts der gegenwärtigen Handelskonflikte – insbesondere auch mit Washington – und der zunehmend ineffektiven WTO hat sich die Perspektive nun geändert.
Was die CPTPP-Kooperation für Europa bedeutet
Ein Einstieg in die Kooperation mit CPTPP wäre für die EU nicht nur eine strategische Reaktion auf die WTO-Schwäche – sondern auch eine geopolitische Ausrichtung in den pazifischen Raum. Handelsabkommen mit Japan, Kanada und Australien bestehen bereits.
Eine vertiefte Einbindung in das CPTPP würde auch Märkte wie Malaysia, Vietnam und Peru noch enger anbinden – mit positiven Effekten für Exportwirtschaft und politische Partnerschaften.
Ein weiterer Aspekt: Die CPTPP-Staaten setzen stärker auf moderne Handelsregeln – etwa im Bereich Digitalisierung, Nachhaltigkeit und geistiges Eigentum.
Die EU sieht hierin Anknüpfungspunkte für eine zukunftsfähige Handelsarchitektur.
Der Haken: Das WTO-System darf nicht untergehen – CPTPP statt WTO?
So attraktiv eine neue Handelsarchitektur erscheinen mag – führende Stimmen aus Wirtschaft und Wissenschaft warnen davor, die WTO vorschnell abzuschreiben.
Das Ziel müsse daher sein, durch die CPTPP-Kooperation Reformimpulse für die WTO zu setzen – nicht sie vollständig zu ersetzen.
Ein Signal an die Welt – und an Washington – CPTPP statt WTO?
Mit ihrer Ankündigung sendet die EU ein klares Signal: Sie will nicht länger auf eine Reform der WTO warten, sondern selbst gestalten.
Die Kooperation mit dem CPTPP könnte dabei mehr sein als ein Notnagel – sie könnte der Ausgangspunkt für eine neue Phase des internationalen Handelns sein: digital, regional gestützt, geopolitisch bewusst.
Ob es gelingt, auf diese Weise die WTO neu zu beleben oder ob ein tatsächlicher Systemwechsel ansteht, hängt von vielen Faktoren ab – auch von den USA, deren Kurs unter der nächsten Präsidentschaftswahl maßgeblich für die Zukunft der globalen Handelsordnung sein wird.
CPTPP statt WTO? – Wir bleiben am Ball für Sie. BerlinMorgen.