Caren Lay und die Suche nach einer sozialen Bodenordnung
Von allen Politikfeldern ist die Wohnungspolitik eines der konfliktreichsten – zwischen Freiheit und Regulierung, Eigentum und Gemeinwohl, Bestand und Neubau.
In dieser Gemengelage tritt Caren Lay, Bundestagsabgeordnete der Linken, seit Jahren mit einer bemerkenswerten thematischen Fokussierung auf. Ihr Buch Wohnopoly, erschienen 2023, ist eine Streitschrift gegen die Spekulation mit Wohnraum – und ein Plädoyer für eine politische Rückbesinnung auf das Grundrecht des Wohnens.
Der moralische Impuls
Man muss Caren Lay nicht in allen Punkten folgen, um anzuerkennen: Ihre Intervention geschieht aus einer tiefen politischen Überzeugung, die weit über Tagesfragen hinausreicht.
Wohnen ist für Lay kein Konsumgut, sondern ein soziales Grundbedürfnis – und der Markt, so ihre zentrale These, sei für dessen Verteilung nur eingeschränkt geeignet.
In Wohnopoly skizziert sie die Entstehung eines „Renditemarktes Wohnraum“, der sich über Jahrzehnte aus politischen Fehlentscheidungen entwickelt habe:
von der Privatisierung einst öffentlicher Wohnungsbestände über das Ende der Wohngemeinnützigkeit bis hin zur steuerlichen Bevorzugung vermieteter Immobilien.
Ihre Kritik zielt auf Strukturen – nicht nur auf einzelne Akteure.
Gegenmacht zur Marktlogik
Lays Vorschläge – ein bundesweiter Mietendeckel, die Wiedereinführung gemeinnützigen Wohnens, notfalls auch Enteignungen großer Wohnkonzerne – sind weitreichend.
Sie stoßen auf Widerstand, nicht nur bei klassischen Immobilieneigentümern, sondern auch bei liberalen Ökonomen, die auf Angebotsengpässe, Regulierungsfolgen und Investitionsbarrieren verweisen.

Dabei ist bemerkenswert: Lays Kritik richtet sich nicht primär gegen das Eigentum als solches, sondern gegen dessen Konzentration.
Gleichwohl wird ihr häufig vorgeworfen, zu generalisieren.
Denn aktuelle Daten zeigen: Der deutsche Wohnungsmarkt ist – mit Ausnahmen in einigen Metropolen – strukturell kleinteilig.
Über zwei Drittel der Mietwohnungen befinden sich im Besitz privater Eigentümer, die meist ein bis zwei Objekte halten.
Großkonzerne wie Vonovia sind sichtbar, aber quantitativ nicht dominierend.
Widersprüche und Wirklichkeit
Hier liegt auch eine der Schwächen von Wohnopoly:
Die Zuspitzung der Eigentumsverhältnisse entspricht nicht immer der statistischen Realität.
Lay skizziert ein Wohnsystem, das vielerorts existiert – vor allem in Berlin, Frankfurt oder München –, aber nicht flächendeckend.
In ländlichen Regionen, wo Wohneigentum nach wie vor verbreitet ist und Mieten vergleichsweise moderat sind, greift ihre Analyse deutlich kürzer.
Zudem bleibt unklar, wie sich ihre Reformvorschläge – etwa eine neue Wohngemeinnützigkeit – institutionell konkret umsetzen ließen.
Wer soll bauen, wenn weder Genossenschaften noch Kommunen über ausreichende Ressourcen verfügen?
Und wie lässt sich der Bestand rekommunalisieren, ohne immense Haushaltsmittel zu binden?
Eine Stimme mit Gewicht
Trotz dieser offenen Fragen bleibt Caren Lay eine wichtige Stimme im wohnungspolitischen Diskurs. In einer Debatte, die oft technokratisch geführt wird, bringt sie einen normativen Maßstab ein, der nicht ignoriert werden sollte.
Ihre Forderung nach einer „sozialen Bodenordnung“ mag manchen zu weit gehen – aber sie erinnert daran, dass Stadtentwicklung nicht nur eine Sache von Baurecht und Finanzierungsmodellen ist, sondern auch von Gerechtigkeit.
In Zeiten wachsender sozialer Ungleichheit und städtischer Verdrängungstendenzen wirkt Lays Haltung wie ein Korrektiv – nicht gegen Eigentum, sondern gegen dessen Abschottung.
Unbequem, aber unverzichtbar – Caren Lay – Wohnpolitik als Gewissensfrage
Caren Lay ist keine Pragmatikerin im klassischen Sinne. Doch gerade weil sie kein taktisches Interesse vertritt, sondern auf Prinzipien beharrt, verleiht sie der Wohnungspolitik jenes moralische Gewicht, das ihr im parteipolitischen Alltag oft fehlt.
Ihre Vorschläge mögen nicht in Gänze konsensfähig sein – ihr Impuls jedoch, das Wohnen politisch neu zu denken, ist notwendig. Auch und gerade in einem Land, in dem Eigentum eine der sensibelsten Kategorien bleibt.
Denn wie man wohnt, sagt mehr über eine Gesellschaft aus als viele Wahlprogramme. Und Caren Lay zwingt uns, diese Frage nicht länger auszusitzen.
Caren Lay – Wohnpolitik als Gewissensfrage – Wir bleiben am Ball für Sie. BerlinMorgen.
Caren Lay – Wohnpolitik als Gewissensfrage – Fotocredit: Anja Müller.